Reflektiert Entscheiden: Kompakt zusammengefasst
In diesem Buch wird der Ansatz des Reflektierten Entscheidens im Detail dargestellt. Es wird beschrieben, wie ein intuitiver Entscheidungsprozess abläuft und welche Probleme hierbei auftreten können. Ebenso wird der idealtypische analytische Prozess vorgestellt und gezeigt, an welchen Stellen sich der intuitive und der analytische Weg ergänzen können. An einem umfänglichen Fallbeispiel wird der fünfschrittige Entscheidungsprozess komplett durchgespielt. Im letzten Teil des Buches wird der Blick noch etwas geweitet und die Vorteile einer veränderten Entscheidungskultur transparent gemacht.
von Nitzsch, Rüdiger & Methling, Florian (2021) „Reflektiert Entscheiden: Kompetent mit Kopf und Bauch“, Frankfurter Allgemeine Buch. | ISBN: 396251094X
Reflektiert Entscheiden aus der wissenschaftlichen Perspektive
In der Entscheidungsforschung gibt es viele wertvolle Erkenntnisse, die dabei helfen können, eine Entscheidung mit einer hohen Qualität zu treffen. Einigkeit besteht hierbei darüber, dass die Qualität einer Entscheidung nicht primär am Ergebnis festgemacht werden kann. Das Ergebnis kann nämlich immer durch Glück oder Pech verursacht sein. Vielmehr gilt es, die Qualität des Entscheidungsprozesses in den Mittelpunkt der Betrachtungen zu stellen.
Reflektiert Entscheiden steht für einen Entscheidungsprozess, der allen Erkenntnissen der Entscheidungsforschung gerecht wird und somit eine gute Entscheidung herbeiführt. Die Abhängigkeit des Ergebnisses von Glück oder Pech wird hierbei reduziert.
Kopf oder Bauch: Was ist besser?
Nicht ganz einig ist man in der Forschung, ob ein intuitiver oder ein analytischer Entscheidungsweg der bessere ist. Für einen intuitiven Entscheidungsprozess (Bauchentscheidung) spricht der geringe Aufwand, da so gut wie keine kognitiven Ressourcen für den Prozess aufzuwenden sind. Zugleich wird möglicherweise wertvolles Erfahrungswissen automatisch abgegriffen. Insofern können Entscheidungen aus dem Bauch auch bei hoher Komplexität durchaus gut sein.
Allerdings lauern in intuitiven Prozessen eine Reihe von Gefahren und psychologischen Fallen. Ein analytischer Entscheidungsprozess kann hier mit einem gut strukturierten Vorgehen korrigierend eingreifen, bewusst einige Sachverhalte und auch die eigenen Wünsche reflektieren und durch ein systematisches Vorgehen sogar neue, attraktive Handlungsoptionen entwickeln.
Reflektiert Entscheiden bringt Kopf und Bauch zusammen!
Idee des reflektierten Entscheidens ist es, den intuitiven und den analytischen Weg zusammenzuführen
und somit auf eine Straße mit zwei parallelen Spuren zu lenken. In dieser Form ergänzen sich Vorteile der beiden Entscheidungswege und die Nachteile werden kompensiert.
Gesteuert wird der reflektierte Entscheidungsprozess primär auf der analytischen Spur der Straße. Hierbei werden fünf Schritte durchlaufen, in denen jeweils auf Konzepte und Erkenntnisse der Entscheidungsforschung Bezug genommen wird, die als „State of the Art“ betrachtet werden können. Dies ist zum einen der Ansatz des Value-Focused Thinking, der in den ersten drei Schritten die Basis bildet. Darüber hinaus sind es alle Erkenntnisse zu Fehlern und Verzerrungen (Bias) in menschlichen Urteilen, die besonders im vierten Schritt eine hohe Bedeutung haben.
Value-Focused Thinking
Der amerikanische Entscheidungsforscher Professor Ralph L. Keeney hat schon in den 90er Jahren mit Value-Focused Thinking einen Ansatz vorgestellt, wie sich Entscheidungen sehr fundiert herbeiführen lassen. In unzähligen Anwendungen aus verschiedensten Bereichen konnte der Ansatz immer überzeugen und hohe Entscheidungsqualitäten herbeiführen. Ein erster wichtiger Bestandteil des Ansatzes liegt darin, die Entscheidungsfrage proaktiv und breit zu formulieren. Im Mittelpunkt der weiteren Überlegungen stehen die fundamentalen Ziele („Values“) des Entscheiders. Diese gilt es zu hinterfragen und gut auszuformulieren. Erst anschließend soll der Entscheider über Handlungsalternativen nachdenken und hierbei anhand der formulierten Ziele attraktive neue Wege finden.
Reflektiert Entscheiden baut in seinen ersten drei Schritten auf diesem Ansatz auf. Die verschiedenen Teilschritte sind hierbei so gewählt, dass sie in einem Webtool, dem Entscheidungsnavi, umgesetzt werden konnten. Ralf Keeney selbst verweist in seiner neuesten Monographie von 2020 auch auf das Entscheidungsnavi als einziges Tool, welches den Value-Focused Thinking implementiert hat.
Fehlerbehaftete Einschätzungen (Biases)
Der amerikanische Psychologieprofessor und Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat sich in seinen Forschungen intensiv mit den psychologischen Fallen im Entscheidungsverhalten von Menschen beschäftigt. In seinem Bestseller von 2012 beschreibt er die Vielzahl von systematischen Verzerrungen, die Menschen in ihren Einschätzungen unterliegen. Zu diesen sogenannten Biases gehören beispielsweise Überreaktionen, das Hereinfallen auf schematische Denkmuster, Verankerungseffekte oder eine Selbstüberschätzung. Vieles resultiert aus einem „Narrow Thinking“, d. h. gewissermaßen einer Art von kognitiven Scheuklappen, und dem Einfluss unbewusster Motive wie z. B. nach hohem Selbstwert, nach Kontrolle oder kognitiver Dissonanzfreiheit.
Reflektiert Entscheiden berücksichtigt die Erkenntnisse von Daniel Kahneman insbesondere im vierten Schritt, wenn der Entscheider einschätzen muss, wie gut die Handlungsoptionen jeweils in den formulierten Zielen sind. Es werden die wichtigsten Fallen transparent gemacht und sogenannte Debiasing-Methoden angewendet, um die Fehler zu minimieren. Während Biases systematische Verzerrungen beschreiben, stellt „Noise“ zufällige Fehler dar, für die es ebenfalls systematische Reduktionsmöglichkeiten in dem geführten Entscheidungsprozess gibt.